Die digitale Agenda der Eidgenossenschaft ist in der Tat sehr diffus. Es wird die Frage nach einem neuen „Staatssekretariat für die Digitale Gesellschaft“ aufgeworfen, Unterstützung gibt es sogar aus bürgerlichen Kreisen, die sonst skeptisch sind, wenn es um die Frage der Schaffung neuer Amtsstellen geht. Ein wesentlicher Treiber hinter der Diskussion ist wohl die internationale Entwicklung: die EU emanzipiert sich von den USA in Sachen Datenschutz und entscheidet sich mutig für einen eigenen digitalen Binnenmarkt in der EU. Stellt sich die Frage, ob die Schweiz hier auf dem richtigen Weg ist? Ohne Umweg über die EU lässt sich diese Frage nicht beantworten.
Die Kommission unter Präsident Juncker hat im Mai 2015 das, nicht ganz neue, Projekt eines digitalen einheitlichen Marktes in Europa lanciert. Der „Digital Single Market“ basiert auf sehr konkreten politischen Forderungen: Beispielsweise sollen einheitliche Regeln für alle Marktteilnehmer im E-Commerce gelten oder durch gezielte Breitbandreformen die Preise und Leistungen für Unternehmen und Konsumenten verbessert werden. Zudem enthält das Konzept auch vage politische Forderungen. Man spricht von einer inkludierenden digitalen Gesellschaft – eine Forderung nach dem Einbezug von Minderheiten. Unter dem Strich sollen aber alle Konsumenten und vor allem Klein- und Mittelbetriebe vom Reformvorhaben profitieren. Was in Tat und Wahrheit entstehen soll, ist ein verbesserter, grenzüberschreitender Zugang zu 500 Millionen Kunden in Europa. Und dieser hat ein beträchtliches Potential. Der digitale Konsumtenschutz, die Stärkung der Cybersecurity und ein vereinfachter Umgang mit Behörden, Stichwort eGovernment, sind weitere attraktive und wichtige Massnahmen zum gemeinsamen Markt. Der Zeitplan: Konkrete Vorschläge für die Umsetzung sind auf Ende 2016 zu erwarten.
Die Frage nach dem Handlungsbedarf für die Schweiz ist legitim. Laut dem Global Information Technology Report 2015 des World Economic Forum (WEF) figuriert die Schweiz auf dem guten sechsten Platz und ist somit global konkurrenzfähig. Die Vorteile der Schweiz liegen laut WEF in den wirtschaftsfreundlichen Gesetzen, gut ausgebildeten Arbeitskräften, Unternehmen, die moderne Technologien erfolgreich einsetzen und der soliden Breitbandqualität. Hemmnisse sind hingegen der Förderalismus in der Regulierung, zum Beispiel beim Datenschutz, und die stark fragmentierte Zuständigkeit bei Bund und Kantonen. Diese verhindern eine nationale Hebelwirkung für eine kohärente digitale Agenda.
Der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Handlungsbedarf in der Schweiz besteht also vor allem im Hinblick auf die Brüsseler Absichten eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes. Die Schweiz muss genau beobachten, wie die EU ihre digitale Agenda regulatorisch aus- und abarbeiten wird. Im Extremfall haben wir künftig einen beschränkten Zugang zu einem gut regulierten Binnenmarkt und verlieren die Anschlussfähigkeit zu internationalen Standards. Dies wissen auch die unzähligen Gremien und Organisationen, die fieberhaft an einer digitalen Agenda für die Schweiz arbeiten – denn ein Alleingang der Schweiz ist völlig verkehrt und nicht zielführend. Um den technologischen und regulatorischen Entwicklungen ideal begegnen zu können, braucht es eine rasche und entschlossene Handlung: Es braucht einen „Digitalen Rat“, gebildet aus den Departementen in Bern, den Kantonen, der Politik und der Wirtschaft sowie relevanten NGOs. Notwendig wird jetzt ein digitaler Schulterschluss, der agil und effizient die Themen auf die Agenda setzt und unkompliziert Massnahmen einleiten kann. Die Erfahrung lehrt, dass solche Prozesse in der Schweiz gut und gerne über fünf Jahre dauern – also höchste Zeit zum Handeln.